Sexuelle Gewalt - sei es sexueller Missbrauch von Kindern oder Vergewaltigung von Frauen - ist eine massive Verletzung der Würde und der Integrität eines Menschen, die tiefgreifende Spuren in der Seele hinterlässt.
Opfer von sexueller Gewalt können an Folgeschäden leiden, die ihr Lebensgefühl enorm beeinträchtigen. Diese Folgeschäden können vielfältig und sehr unterschiedlich sein: ein beschädigtes Selbstwertgefühl, Angststörungen, Depressionen, Suchtverhalten, sexuelle Störungen, Probleme, sich auf Liebesbeziehungen einzulassen und vieles mehr. Die Gefühle, die durch sexuelle Gewalt ausgelöst werden, sind Ohnmacht, Ausgeliefertsein, große Angst, Verzweiflung, Schuld, Scham, aber auch Wut und Hass. Diese Gefühle werden oft als so überwältigend und bedrohlich erlebt, dass die Psyche keinen anderen Ausweg sieht, als sie ins Unterbewusstsein zu verdrängen, wo sie im Verborgenen weiterwirken und die Person zu selbstbehindernden und selbstschädigenden Verhaltensweisen veranlassen. Viele Frauen und Mädchen, die vergewaltigt bzw. sexuell missbraucht wurden, gehen - so lange die traumatisierenden Erlebnisse nicht aufgearbeitet sind - als Opfer durchs Leben: ständig auf der Hut, ängstlich und misstrauisch.
Nicht selten ist dieses "Opferlebensgefühl" gepaart mit dem Gefühl auch noch selbst daran schuld zu sein. (In unserer Gesellschaft hält sich leider immer noch hartnäckig die Meinung, dass Opfer sexueller Gewalt diese auf die eine oder andere Weise provoziert hätten.) Wenn eine Frau sich so fühlt, ist es sehr schwer für sie ein selbstbestimmtes, erfülltes und glückliches Leben führen.
Heilung kann dann stattfinden, wenn die traumatisierenden Erfahrungen in einem sicheren Rahmen wiedererlebt und die verdrängten Gefühle gespürt und integriert werden können. Der Weg hinaus aus der Opferrolle führt gewissermaßen über das - schrittweise - Durchleben der mit dem sexuellen Missbrauch verbundenen Gefühle. Auf diese Weise macht die vergewaltigte bzw. missbrauchte Frau die Erfahrung, dass sie jetzt stark genug ist, damit umzugehen. Nachdem sie Angst, Ohnmacht, Schuld und Scham hinter sich gelassen hat, wird sie allmählich zu ihrem gerechten Zorn und ihrer Empörung darüber gelangen, was ihr angetan wurde und nicht mehr die Schuld bei sich selbst suchen. Sie wird ihr Gefühl der Wut als Fähigkeit sich zu wehren erkennen und damit ihre eigene Stärke spüren, womit der Schritt aus der Opferrolle getan wäre.
Wie kann die Integrative Atemtherapie bei der Bewältigung von sexuellen Gewalterfahrungen helfen?
Die Integrative Atemtherapie führt auf sehr behutsame Weise an die traumatisierenden Erfahrungen und die verdrängten Gefühle heran. Ebenso wie wir den Atem (unbewusst) dazu benützen beängstigende oder schmerzhafte Erlebnisse, Gefühle und körperliche Empfindungen abzuspalten und ins Unterbewusstsein zu verdrängen - indem wir beispielsweise den Atem anhalten, sehr flach oder sehr wenig atmen - können wir über die bewusste, verbundene Atmung (wie sie in der Integrativen Atemtherapie praktiziert wird) das "unterdrückte Material" wieder ins Bewusstsein rufen.
Dieser Prozess ist ein sehr sanfter und sicherer, denn es kommt während einer Atemsitzung niemals mehr hoch, als womit die atmende Person gut umgehen kann. Dem Atem wohnt ein die Person schützendes Selbstregulativ inne, das verhindert, dass die Klientin von ihren Gefühlen überschwemmt wird. Die Klientin hat also in einem geschützten Rahmen, begleitet von einer erfahrenen Atemtherapeutin die Möglichkeit in dem für sie passendem Tempo und in der für sie angemessenen Intensität, die traumatisierenden Erfahrungen zu erinnern und zu bewältigen.
Diese Erinnerungen werden in einem Atemprozess realer erlebt als sonst, da sie hier mulitdimensional sind. In anderen Worten: es handelt sich mehr um ein Wiedererleben denn ein Erinnern. Obwohl sich die Erinnerungen sehr unmittelbar anfühlen, weiß die Klientin immer, wo sie sich befindet, nämlich auf einer Matte in der Praxis ihrer Atemtherapeutin. Das ist deshalb so, weil sich während eines Atemprozesses das lineare Zeitempfinden auflöst. Wir können dabei ganz tief in der Vergangenheit und gleichzeitig in der Gegenwart sein.
Die Schritte in der Atemtherapie zur Bewältigung von sexuellen Gewalterfahrungen:
In einem ersten Schritt geht es für die Klientin darum allmählich Vertrauen aufzubauen: Vertrauen zur Therapeutin und zum Setting und vor allem Vertrauen zu den tiefen Heilungsprozessen, die durch den verbundenen Atem ausgelöst werden. Wenn sich die Klientin von ihrer Therapeutin wertgeschätzt, angenommen und liebevoll begleitet fühlt, und wenn sie sich in dem ihr gebotenen Rahmen geschützt und sicher fühlen kann, ist der Grundstein dafür gelegt, dass sie sich auch ihrem Atem anvertrauen und sich allmählich ihrer inneren Welt und den darin verborgenen Gefühlen öffnen kann.
Der zweite Schritt: Je mehr es der Klientin gelingt sich fallen zu lassen, sich in sich selbst hinein zu entspannen und sich ihrem Atem hinzugeben, desto mehr werden die inneren Räume geöffnet, die die schwierigen Erinnerungen und Gefühle beherbergen. Die Atemtherapeutin wird die Klientin nun ermutigen ihre Gefühle zu erlauben, sie vollkommen wahrzunehmen, anzunehmen und sie auch auszudrücken. Die Klientin kann auf diese Weise die Erfahrung machen, dass ihre Gefühle "nur" Teile von ihr sind, die, da sie aus ihrem Inneren kommen, in jedem Fall "kleiner" sind als die Klientin selbst und sie deshalb nicht überwältigen können. Je mehr sich die Klientin als Beobachterin ihrer Gefühle fühlen kann, desto mehr wird sie spüren, dass sie stark genug ist mit jedem Gefühl umzugehen, und sei es noch so intensiv. Die Erfahrung ist: ich habe ein Gefühl, ich kann es beobachten, ich kann, wenn ich das will, es ausdrücken, und es gibt immer einen Teil in mir (nämlich der, der beobachtet), der davon unberührt ist, der heil und stark ist - und nicht: mein Gefühl hat mich, ich bin dem ausgeliefert, es überschwemmt mich.
Der dritte Schritt ist die Integration der Gefühle: Die Klientin wird nun die Erfahrung machen, dass jedes Gefühl, dass sie - während sie bewusst weiter atmet - beobachten, fühlen und vollkommen annehmen kann, schön langsam verschwindet. Sie lernt sich durch ihre Gefühle durchzuatmen, die Gefühle lösen sich auf und werden so allmählich integriert. An Stelle der schmerzhaften und schwierigen Gefühle wie Ohnmacht, Angst, Scham, Hass etc. können nun Gefühle treten, die die Klientin in ihrem Selbstwert und ihrem Selbstbewusstsein stärken: Freude, Freiheit, Friede, Gelassenheit, Kraft, Eigenmächtigkeit ... und zwar in so intensiver Weise, dass sie sowohl körperlich als auch psychisch erlebt werden.
Die Integration der traumatisierenden Gewalterfahrung findet jedoch nicht nur auf emotionaler Ebene statt, denn es ist auch der Verstand in den Atemprozess involviert. In der selben Art und Weise wie unser Zeitgefühl flexibler wird, lösen sich auch die üblichen Begrenzungen unseres Denkens auf. Neue Gedankenstrukturen und -formen können an die Stelle unseres herkömmlichen Alltagsdenkens treten. In unserem Fall bedeutet das, dass sich negative Glaubenssätze, die von der sexuellen Gewalterfahrung herrühren in konstruktive Gedanken transformieren können. Anstatt z.B. "Ich bin schwach" - "Ich habe die Fähigkeit mich zu wehren", oder "Alle Männer sind potenziell gefährlich" - "Ich kann die gefährlichen Männer von den freundlichen unterscheiden, und ich kann mich schützen." Im Atemprozess kann die Klientin zu tiefen Einsichten über sich selbst, über andere, über das Leben im allgemeinen gelangen. Solche Einsichten sind wie kleine Erleuchtungen, Katalysatoren, die wirkliche und anhaltende Veränderungen in ihrem Leben bewirken.
Rebirthing, wie das Integrative Atmen auch genannt wird, ist zuerst eine Reise nach innen, und dann wird es eine Reise nach aussen - eine Reise in die Welt, bei der die "atmende Frau" ihren Platz in der Welt in Anspruch nimmt und diesen Platz auf selbstbestimmte und kreative Art und Weise ausfüllt.
Die Integrative Atemtherapie - im Gegensatz zu Rebirthing als Selbstheilungstechnik - bietet sich vor allem an: